Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter April 2025
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Außerstreitiges Recht
1 Ob 197/24p – Zur Abgrenzung Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht
Zur Abgrenzung von Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht gemäß § 1091 ABGB kommt es immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls an (RS0031183). Bestandverträge müssen im Rahmen eines Vergleichs der typischen Merkmale der Vertragstypen danach untersucht werden, welche Elemente in einer Gesamtbetrachtung überwiegen, insbesondere darauf, welchen Umständen die größere wirtschaftliche Bedeutung zukommt (1 Ob 177/16k mwN; RS0020521).
Dass die Parteien den Vertrag als Pachtvertrag bezeichneten, ist (allein) nicht maßgebend (RS0017762 [T13, T17]). Das Berufungsgericht qualifizierte den Bestandvertrag unabhängig von dessen Bezeichnung als „Pachtvertrag“ als Geschäftsraummiete, weil auch die vereinbarte Informationspflicht der Bestandnehmerin bzw das Mitspracherecht der Bestandgeberin in bestimmten Personalangelegenheiten in Wahrheit eine bloße Leerfloskel gewesen sei. Eine ernsthafte Absicht der Bestandgeberin an der Führung einer ganz bestimmten Art des Hotelbetriebs oder überhaupt ein Interesse an der Aufrechterhaltung irgendeines Hotelbetriebs habe nach den Feststellungen nicht bestanden. Da der Aufbau des Unternehmens, des Kundenstocks und von Goodwill und auch die konkrete Ausgestaltung der Art des Unternehmens, die Anstellung des Personals allein in der Verantwortung der Bestandnehmerin gelegen seien, die nach eigenem Belieben tätig sein habe können, und die Bestandnehmerin Werbemaßnahmen sowie den Internetauftritt unbeeinflusst von der Bestandgeberin organisiert habe, habe die Bestandgeberin letztlich nicht mehr als Räume und Flächen zur Verfügung gestellt.
3 Ob 233/24x – Zur Kündigung, weil die Wohnung nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses verwendet wird (§30 Abs 2 Z 6 MRG)
Der Beklagte übersiedelte mit seiner Gattin im Jahr 2005 in die gemeinsam erworbene Eigentumswohnung und nutzte das Bestandobjekt seither – jedenfalls bis zur (mehrere Monate nach Zustellung der Aufkündigung erfolgten) Trennung von seiner Gattin im Herbst 2022 – nur noch sporadisch. Seit November 2022 oder spätestens Februar 2023 nutzt er die aufgekündigte Wohnung täglich.
Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG setzt das Fehlen einer regelmäßigen Verwendung zu Wohnzwecken und den Mangel eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen voraus (RS0070217 [T5]). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist grundsätzlich die Zustellung der Aufkündigung (vgl RS0044752).
Hat der Vermieter die nicht regelmäßige Benützung nachgewiesen, trifft den beklagten Mieter die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass dennoch ein (künftiges) dringendes Wohnbedürfnis vorliegt (vgl RS0079350), wofür die Rechtsprechung ein schutzwürdiges Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags fordert (RS0068687; RS0079350 [T2]). Ein solches schutzwürdiges Interesse des Mieters setzt voraus, dass es zur Zeit der Aufkündigung besteht oder doch in naher Zukunft zu erwarten ist (RS0068694 [T2]; RS0079210); auf eine (zu diesem Zeitpunkt) ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeit eines Bedarfs ist hingegen nicht Bedacht zu nehmen (RS0068694 [T5]). Die während des Kündigungsverfahrens eingetretenen Entwicklungen sind lediglich dann zu berücksichtigen, wenn sie Rückschlüsse darauf zulassen, dass das schutzwürdige Interesse des Mieters bereits im Zeitpunkt der Aufkündigung gegeben war (vgl 1 Ob 182/20a mwN). Dies war hier nicht der Fall.
5 Ob 222/24v – Beschlussfassung der WEG durch Umlaufbeschluss
Nach ständiger Rechtsprechung (RS0108768 [T3, T7]) ist die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft durch Umlaufbeschluss zulässig. Einer zuvor gesonderten Beschlussfassung oder Verständigung über diese Vorgangsweise bedarf es nicht (5 Ob 100/08d). Allerdings ist allen Mit- und Wohnungseigentümern – auch jenen mit einer voraussichtlich chancenlosen Gegenposition und sogar den nach § 24 Abs 3 WEG vom Stimmrecht Ausgeschlossenen (RS0118846 [T2]; 5 Ob 238/20s) – Gelegenheit zur Äußerung zu bieten. Wurde dem vom Stimmrecht Ausgeschlossenen vor Bekanntmachung des Beschlusses keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben, würde dies einen Fehler in der Beschlussfassung begründen (RS0118846 [T3]).
Die Forderung, einem schriftlichen Umlaufbeschluss müsse jedenfalls eine getrennte schriftliche Verständigung oder eine ausdrückliche Aufforderung zur Äußerung vorangehen, findet demgegenüber im Gesetz keine Deckung (RS0108769).
5 Ob 206/24s – Zur Präklusion eines Antrages auf Feststellung der Ausstattungskategorie
Der Antragsteller beantragte bei der Schlichtungsstelle die Feststellung der Ausstattungskategorie der Wohnung. Der Mietvertragsabschluss lag bereits im Jahr 1976.
Auch außerhalb des Mietzinsüberprüfungsverfahrens nach § 37 Abs 1 Z 8 MRG ist ein Antrag auf Feststellung der Ausstattungskategorie eines Bestandobjekts zum Anmietungszeitpunkt zulässig und wegen schlüssiger Verweisung durch den Gesetzgeber im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren abzuhandeln. Da die „Urkategorie“ etwa auch für das Anhebungsbegehren nach § 45 MRG, die erste Stufe der Mietzinserhöhung nach §§ 18 f MRG und die Wertsicherungserhöhung nach § 16 Abs 9 MRG maßgeblich sein kann, ist ein Feststellungsinteresse eines Mieters an einem selbständigen Antrag auch dann zu bejahen, wenn der Mietzinsüberprüfungsantrag selbst präkludiert wäre. Eine Präklusion eines selbständigen Feststellungsantrags nach § 16 Abs 8 MRG – der grundsätzlich auch auf „Altverträge“ anzuwenden ist, die bereits vor Inkrafttreten des MRG abgeschlossen wurden – kommt nicht in Betracht.
Streitiges Recht
5 Ob 197/24t – Zur Bindungswirkung von Zustimmungserklärungen
Bereits 2010 fand eine Abstimmung der damaligen Mit- und Wohnungseigentümer über die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer statt, dass der Beklagte eine Türe in seinen Garten sowie eine Zugangstüre vom öffentlichen Grund in den Garten auf eigene Kosten herstellen darf. Damals stimmten nicht alle Wohnungseigentümer zu, wohl aber die Rechtsvorgänger der klagenden Parteien. Im Jahr 2015 stimmten die (damaligen) Wohnungseigentümer neuerlich zu diesem Thema ab. Es erfolgte aber wieder keine Zustimmung aller Mit- und Wohnungseigentümer.
Der Erst- und die Zweitklägerin erwarben ihre Anteile dann mit Kaufvertrag 2018, in dem der Kauf „mit allen Rechten und Pflichten, so wie der Verkäufer das Kaufobjekt bisher besessen und benutzt hat oder zu besitzen und benützen berechtigt war“ vereinbart war. Eine vergleichbare Bestimmung enthielt der Kaufvertrag der Drittklägerin und des Viertklägers, die 2011 abgeschlossen worden war.
Der Beklagte hatte seine Wohnung samt Garten schon mit Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag 2006 von der damaligen Alleineigentümerin erworben. Dort erteilte die Verkäuferin ihre unwiderrufliche Zustimmung zur Änderung der vom Käufer erworbenen Wohnung auf Kosten des Käufers, soweit die beabsichtigten Änderungen den Bestimmungen des WEG 2002 entsprechen, zur Durchführung der Änderung nur befugte Gewerbetreibende herangezogen werden und die allenfalls erforderliche Baubewilligung vorliegt.
2023 begann der Beklagte einen Teil der Gartenmauer samt Zaun im Bereich seines Gartenanteils abzutragen und ließ ein 130 cm breites Gartentor einbauen, das in seinen Eigengarten führt. Die Kläger begehren die Wiederherstellung von Gartenmauer und Gartenzaun wie von ihnen näher beschrieben, die Entfernung der vom Beklagten in den Gartenzaun eingebaute Gartentüre mit Ausgang zum öffentlichen Gut, die Wiederherstellung des ursprünglich vorhandenen Gartenzauns sowie die Unterlassung weiterer derartiger Baumaßnahmen ohne vorherige Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer.
Der Beklagte konnte sich auf die von der damaligen Alleineigentümerin im Wohnungseigentumsvertrag 2006 erteilte Vorwegzustimmung zu Umbauten nicht stützen, da nur Änderungen an der vom Käufer erworbenen Wohnung und nicht die allgemeinen Teile des Hauses bildenden Einfriedungsmauer und der Zaun erfasst wurden und im Übrigen darauf verwiesen wurde, dass die beabsichtigten Änderungen den Bestimmungen des WEG 2002 zu entsprechen haben.
Nach den Feststellungen erklärten sich weder bei der Abstimmung im Jahr 2010 noch bei der Abstimmung 2015 sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer einverstanden. Aus Sicht des die „Abstimmung“ initiierenden Beklagten konnte eine anlässlich des Abstimmungsvorgangs selbst erteilte Zustimmung zwar so verstanden werden, dass sie jedenfalls so lange unwiderruflich und bindend sein sollte, als der Vorgang der „Abstimmung“ (im Sinn des Versuchs des Beklagten, Einstimmigkeit zu erlangen) nicht endgültig abgeschlossen war. Er durfte allerdings insbesondere im Hinblick darauf, dass es um eine Abstimmung über sein konkretes Vorhaben ging, nicht davon ausgehen, eine solche Zustimmung sollte selbst nach endgültigem Scheitern des Versuchs Einstimmigkeit zu erlangen, auf unbestimmte Zeit weiterhin Bindungswirkung – sogar für allfällige Rechtsnachfolger – haben. Dass der Beklagte selbst die Zustimmungserklärungen nicht so verstand, ergibt sich im Übrigen schon aus dem Umstand, dass er nach dem ersten fehlgeschlagenen Versuch 2010 neuerlich eine solche „Abstimmung“ 2015 initiierte, bei der Einstimmigkeit nach den Feststellungen des Erstgerichts aber wieder nicht zu erzielen war.
Von einer generellen „Unwiderruflichkeit“ einer einmal abgegebenen Zustimmungserklärung auf unbestimmte Zeit kann nicht ausgegangen werden; dies widerspräche auch dem der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zugrunde liegenden Grundsatz, dass Anbote im Regelfall nur eine gewisse zeitliche Bindungsfrist längstens bis zu dem Zeitpunkt haben, in welchem der Antragsteller unter der Voraussetzung, dass sein Antrag rechtzeitig angekommen ist, die Antwort erwarten darf (vgl § 862 ABGB). Auch wenn die von einem Mit- und Wohnungseigentümer abgegebene Zustimmungserklärung zu einem Änderungsvorhaben nicht einem Anbot zum Abschluss eines Vertrags gleichzusetzen ist (vgl 3 Ob 151/11v), bewirkt sie doch einen gewissen Schwebezustand bis zu dem Zeitpunkt, in dem entweder alle Zustimmungserklärungen eingetroffen sind – damit wäre im Sinn der eingangs dargestellten Judikatur und Lehre das dingliche Rechtsverhältnis der Mit- und Wohnungseigentümer neu gestaltet – oder aber eine endgültige Ablehnung des Änderungsvorhabens mangels Zustimmung aller Beteiligten erfolgte. Auch damit wäre dieser Schwebezustand – dessen Perpetuierung auf unbestimmte Zeit den Liegenschaftsverkehr im Übrigen unzumutbar erschweren würde – endgültig beendet. Mangels anderer Anhaltspunkte in der Zustimmungserklärung (wie etwa einer ausdrücklichen Zusage, diese auf Rechtsnachfolger zu überbinden) war davon auszugehen, dass deren Bindungswirkung jedenfalls mit dem Zeitpunkt des endgültigen Scheiterns des Versuchs Einstimmigkeit zu erzielen, erlöschen würde.
Damit kommt auch eine Bindung der Rechtsnachfolger nicht mehr in Frage.
Dr. Iris Mutz
Wien/Klagenfurt, April 2025
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