Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter Juni 2025
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Außerstreitiges Recht
5 Ob 138/24s – Zur Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen
Nach der ständigen Rechtsprechung des Fachsenats ist im Fall des Anscheins eines Mehrheitsbeschlusses eine fristgerechte Anfechtung erforderlich, bei deren Unterbleiben der Mangel heilt. Besteht aber ein solcher Anschein nicht – wie etwa dann, wenn die Minderheit unter Ausschluss der Mehrheit einen Beschluss fasst – ist von unheilbarer Nichtigkeit auszugehen (RS0118450). Das wohnrechtliche Außerstreitverfahren steht etwa für eine Anfechtung von Beschlüssen einer „Miterrichtergemeinschaft“ nicht zur Verfügung, die zu einem Zeitpunkt, als die Eigentümergemeinschaft noch gar nicht existierte, ein Wohnhaus gemeinsam errichten ließ (5 Ob 497/97t). Voraussetzung einer Antragstellung gemäß § 26 Abs 1 Z 4 WEG 1975 ist nämlich, dass überhaupt ein Beschluss der (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaft vorliegt (RS0109645). In Zweifelsfällen hält die Rechtsprechung bei der Zulässigkeit des Außerstreitverfahrens zur Erleichterung einer Klarstellung Großzügigkeit für angebracht; aus Gründen der Rechtssicherheit soll im Zweifel bei der Abgrenzung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen für (befristete) Anfechtbarkeit entschieden werden (RS0118451).
Auch der Abschluss eines Bestandvertrags über einen Teil eines Nachbargrundstücks kann eine Verwaltungsmaßnahme sein, wenn er im Gemeinschaftsinteresse erfolgt, einen ausreichenden Bezug zur Nutzung, Erhaltung oder Verbesserung der gemeinschaftlichen Liegenschaft aufweist und in die dingliche Rechtsposition einzelner Wohnungseigentümer dadurch nicht eingegriffen wird. Der Eigentümergemeinschaft kommt insoweit Rechtsfähigkeit zu, sodass eine solche Maßnahme wirksamer Gegenstand ihrer Beschlussfassung sein kann.
5 Ob 169/24z – Zur Verwalterkündigung
Die Bestellung des Verwalters und die Auflösung des Verwaltungsvertrags sind gemäß § 28 Abs 1 Z 5 WEG Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft (5 Ob 144/19s; 5 Ob 36/13z; RS0106051 [T5]). Ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft auf Kündigung des Verwaltungsvertrags ist daher sofort vollziehbar, sodass dieser zur (vorläufigen) Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung führt und deren Zugang zur Beendigung des Vertragsverhältnisses (5 Ob 144/19s; 5 Ob 36/13z; RS0125809 [T3]).
Der Bestand des Beschlusses der Eigentümergemeinschaft ist zwar insoweit auflösend bedingt, als er erst bei einem Unterbleiben fristgerechter Anfechtung oder ihrem rechtskräftigen Scheitern endgültig „bestandskräftig” ist (RS0125809). Für die Wirksamkeit der Verwalterkündigung reicht es aber aus, wenn der zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht bestandkräftige Beschluss in der Folge bestandkräftig wird (5 Ob 144/19s; 5 Ob 36/13z).
Die Kündigung des Verwaltervertrags (als rechtsgeschäftliche Erklärung der Eigentümergemeinschaft) muss der Verwalter nur dann gegen sich gelten lassen, wenn sie auf einem wirksamen Beschluss der Eigentümergemeinschaft beruht, ihr also eine den Anforderungen des § 24 WEG genügende Willensbildung und Beschlussfassung vorangegangen ist (5 Ob 76/09a; RS0108767 [T1, T7]; RS0110769 [T3, T6, T14]). Mängel in der Willensbildung kann er in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 8 WEG – grundsätzlich – als Vorfrage für die Unwirksamkeit der gegen ihn ausgesprochenen Kündigung relevieren (5 Ob 76/09a; RS0108767 [T1, T8, T13]; RS0110769 [T3]).
Ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft ist allerdings dann jedenfalls rechtswirksam, wenn seine Rechtmäßigkeit im Anfechtungsverfahren evaluiert ist oder seine fristgerechte Anfechtung (durch einen der Wohnungseigentümer) überhaupt unterbleibt. Dadurch sind allfällige Mängel der Beschlussfassung saniert (5 Ob 12/23k; 5 Ob 76/09a mwN; RS0118450 [T1]; RS0122765 [T4]). Dies gilt auch für gravierende Mängel, wie die von der Antragstellerin geltend gemachte Verletzung des Anhörungsrechts aller Wohnungseigentümer (5 Ob 155/06i).
Besteht ein Anschein (Rechtsschein) eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft über Maßnahmen der Liegenschaftsverwaltung nach § 24 Abs 6 WEG und unterbleibt die fristgerechte Anfechtung dieses Beschlusses, heilen dessen Mängel (RS0118450; RS0109645 [T2]; RS0117554 [T1]) und der Beschluss ist rechtsgültig und endgültig bestandskräftig (5 Ob 12/23k).
Der Anschlag eines Beschlusses im Haus erweckt in der Regel den Anschein (Rechtsschein) einer bereits abgeschlossenen Beschlussfassung und löst damit die Anfechtungsfrist nach § 24 Abs 6 WEG aus (5 Ob 143/20w; RS0109645 [T8]). Nach den Feststellungen wurde in diesem Fall nach der Eigentümerversammlung das in dieser Versammlung verteilte Abstimmungsformular als Hausaushang angeschlagen, wobei in dieses die Bezeichnung der bestellten neuen Verwalterin eingefügt, der Vermerk „zum Aushang“ angebracht und auf die dazu ausgehängte „Belehrung“ hingewiesen wurde. Diese Belehrung bestand in einem Ausdruck des Gesetzestexts des § 24 WEG, in dem dessen Abs 4 und 6 farblich markiert wurden. Aufgrund dessen war davon auszugehen, dass dieser Aushang den Anschein einer bereits positiv abgeschlossenen Beschlussfassung erweckte und damit die Anfechtungsfrist nach § 24 Abs 6 WEG auslöste.
Streitiges Recht
4 Ob 45/24g – Zur Kündigung eines unbefristeten Bestandsvertrags
Das bloße Vorliegen eines Mitbenützungsrechts, spricht nicht gegen das Vorliegen eines Bestandvertrags. Ein Bestandvertrag über eine unbewegliche Sache setzt nämlich nicht voraus, dass dem Bestandnehmer die ausschließliche Nutzung des Bestandgegenstands eingeräumt worden ist (RS0025022; idS auch Lovrek in Rummel/Lukas4 §§ 1092–1094 ABGB Rz 46 unter Hinweis auf den früher gebräuchlichen „Bettgehervertrag“).
Auch die Einmalzahlung eines Betrages spricht nicht gegen das Vorliegen eines Bestandsvertrags. Im Anlassfall betraf der Bestandgegenstand ein Seegrundstück für Erholungszwecke. Der Vertrag fiel damit nicht unter das MRG (bzw MG). Die Einmalzahlung war – ähnlich wie bei einer „Ablöse“ – eine mögliche und bei (wie hier:) freier Mietzinsbildung auch ohne Weiteres eine zulässige Form der Mietzinsleistung (5 Ob 167/98i; RS0068036 [T4]; Lovrek in Rummel/Lukas4 §§ 1092–1094 Rz 61).
Obligatorische Rechtsverhältnisse gehen bei einer Einzelnachfolge grundsätzlich nur bei einer entsprechenden Vereinbarung auf den Rechtsnachfolger über (RS0011871). In § 1120 ABGB ordnet allerdings das Gesetz ausnahmsweise für den Bestandvertrag die Vertragsübernahme eines Dauerschuldverhältnisses an (RS0011871 [T8, T10, T13]). Der Käufer tritt ex lege in das Vertragsverhältnis ein (RS0104141; RS0021208; Rassi in KBB7 § 1120 ABGB Rz 1).
Der Bestandnehmer, dessen Recht (wie im Anlassfall) nicht im Grundbuch eingetragen ist, muss allerdings – nach dem Grundsatz „Kauf bricht Miete“ (zB 1 Ob 111/16d) – gemäß § 1120 Satz 1 ABGB nach Aufkündigung dem Käufer weichen.
Der Bestandnehmer, dem zu einem früheren Zeitpunkt gekündigt wird, als es nach dem Bestandvertrag möglich gewesen wäre, hat aber nach § 1120 Satz 2 ABGB Schadenersatzansprüche gegen den bisherigen Bestandgeber (RS0021217) und nach allgemeinen Grundsätzen (Rassi in KBB7 § 1120 ABGB Rz 1).
Der Klägerin war in diesem Fall durch die Kündigung des Käufers schon deshalb kein Schaden entstanden, weil sie per 30. 6. 2020, also 57 Jahre nach Abschluss des (zweiten) Mietvertrags, nicht zu einem früheren Zeitpunkt gekündigt wurde, als es nach dem Mietvertrag 1963 möglich gewesen wäre.
8 Ob 81/24f – Wertsicherungsvereinbarung in Verbraucher-Mietverträgen
Gemäß § 6 Abs 1 Z 5 KSchG sind für den Verbraucher Vertragsbestimmungen nicht verbindlich, nach denen dem Unternehmer auf sein Verlangen für seine Leistung ein höheres als das bei der Vertragsschließung bestimmte Entgelt zusteht, es sei denn, der Vertrag sieht bei Vorliegen der vereinbarten Voraussetzungen für eine Entgeltänderung auch eine Entgeltsenkung vor, die für die Entgeltänderung maßgebenden Umstände sind im Vertrag umschrieben und sachlich gerechtfertigt und ihr Eintritt hängt nicht vom Willen des Unternehmers ab.
Auch Wertsicherungsklauseln in Wohnungsmietverträgen unternehmerischer Vermieter müssen sich an den Erfordernissen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG messen lassen(2 Ob 36/23t; 1 Ob 64/24d; 10 Ob 23/24s; 10 Ob 54/24z; siehe bereits 6 Ob 226/18f). Der Zweck von Wertsicherungsvereinbarungen, das ursprüngliche Äquivalenzverhältnis aufrecht zu erhalten, schließt sie nicht aus dem Anwendungsbereich des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG aus, sondern bildet erst bei der Anwendung der Bestimmung einen wesentlichen Prüfungsmaßstab. Im Individualverfahren gilt der für Verbandsverfahren geltende Grundsatz der kundenfeindlichsten Interpretation nicht (RS0016590 [T32]; siehe insb 4 Ob 4/23a; Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 915 ABGB Rz 33; aA Leitner, Keine geltungserhaltende Auslegung von AGB auch im Individualverfahren, ecolex 2015, 754; ders, Wirksamkeit von Indexklauseln in Mietverträgen, wobl 2023, 423).
Eine Wertsicherung anhand des Verbraucherpreisindex genügt dem Sachlichkeitsgebot des § 879 Abs 3 ABGB und des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (10 Ob 23/24s Rz 19 mwN; 10 Ob 54/24z).
Es sodann zu prüfen, ob die Wertsicherungsklausel gegen § 6 Abs 2 Z 4 KSchG (zur Prüfung einer mietvertraglichen Wertsicherungsklausel anhand dieser Bestimmung vgl 2 Ob 36/23t Rz 10, 8 Ob 37/23h Rz 14 und 8 Ob 6/24a Rz 6 ff; zu der an dieser Rechtsprechung geübten Kritik Rassi, Die Wertsicherung des Bestandzinses, Zak 2024/551 mwN zum Meinungsstand) verstößt: Hier war dies nicht der Fall, weil nach der getroffenen Vereinbarung eine Wertanpassung erstmals mit Jänner 2022 und damit mehr als zehn Monate nach Vertragsabschluss erfolgen konnte. Dies schließt bereits nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG eine Verletzung der genannten Bestimmung aus. Auf den Beginn des Mietverhältnisses kann es auch nach dem Sinn der Norm nicht ankommen, weil durch diese der Unternehmer lediglich gehalten werden soll, bereits zu Vertragsabschluss absehbare Veränderungen in den nächsten beiden Monaten entweder in die Hauptleistung des Vertrags einzupreisen (und damit einen Preisvergleich zu ermöglichen) oder aber die Möglichkeit einer Anpassung im Einzelnen auszuhandeln (vgl ErläutRV 744 BlgNR 14. GP 26).
Dr. Iris Mutz
Wien/Klagenfurt, Juni 2025
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